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IREBS Standpunkt Nr. 76

Handel im 21. Jahrhundert: Alles online, oder was?

Es scheint ein menschliches Gesetz zu sein, dass eine neue Erfindung zunächst verlacht wird. Dies war beim Auto, beim Fernseher und auch beim Computer so. Doch wenn die Er­findung auf eine Lücke trifft, wenn es also nicht nur Bedarf, sondern auch Nachfrage gibt, bleibt das Lachen schnell im Halse der Etablierten stecken. Die Folge ist: Die Bewahrer des Alten versuchen in einem nächsten Schritt, das Neue zu verhindern, es verbieten zu lassen oder als irgendwie gefährlich darzustellen – entweder für Leib und Leben oder wenigstens für die Moral. Und so war es auch beim Auto, beim Fernseher und auch beim Computer. Wenn sich dann aber die Macht des faktischen Bedarfs als zu groß erweist, wird hastig die Flucht nach vorne angetreten und es folgt für eine kurze Zeit, dass der alleinige Segen für die Zukunft in der neuen Technik vermutet wird. Das Alte hat in dieser Phase ausgedient und seine Schuldigkeit getan.

Dieser Ablauf lässt sich auch auf die Bezie­hung des traditionellen Einzelhandels zum Online-Handel übertragen: Zunächst wurde der Internet­handel etwas beschmun­zelt und als reiner Ersatz für den Katalog­handel gese­hen. Danach erkannten die etablierten Händler die Wettbe­werbsvorteile der neuen Plattform­technik an und es wurden Verhin­derungs­strategien entworfen, die den Erfolg des Online-Handels aber bisher nicht aufhalten konn­ten: Die jähr­lichen Zuwachs­raten sind bis zuletzt zweistellig. Mitunter ver­breitet sich nun Fatalismus in der Branche – Untergangsszenarien werden gemalt.

Zerstört der Online-Handel unsere Innenstädte? Wird es bald gar keinen traditionellen Ladenhandel mehr geben?

Für eine einfache Antwort müsste ich Zukunftsreisender sein, um mir die Städte im 22. Jahr­hundert anzuschauen. Für eine komplizierte Näherung an eine Antwort lässt sich die Frage zunächst etwas umformulieren, um daraus eine strukturierte Antwort abzuleiten. Die abge­wandelte Frage muss folglich lauten: Wann ist eine neue Technik erfolgreich? Sie ist dann erfolgreich, wenn sie entweder Menschen ermöglicht, mehr Dinge zu tun, die sie gerne machen, oder wenn die Technik Menschen in die Lage versetzt, seltener Dinge tun zu müssen, die sie ungerne machen, oder wenn die Technik Zeit und Geld spart (damit die Menschen mit dem gesparten Geld und der gesparten Zeit Dinge tun können, die sie gerne tun). Nach diesem Dreiklang waren auch frühere Neuerungen im Einzelhandel erfolgreich: Das Warenhaus ließ die Menschen staunen und gleichzeitig reduzierte es Suchkosten. Der Discounter ließ die Menschen vor allem Geld sparen, und das Einkaufszentrum ermöglichte eine Mischung aus Zeitersparnis und Erlebnis. Auch hier wurden mit dem Neuen alte Strukturen zerstört – und die Welt drehte sich doch weiter.

Mit dieser einfachen Metrik können wir nun das traditionelle Einzelhandelserlebnis in einzelne Bestandteile des Gernetuns und des Nichtgernetuns unterteilen, für solch einen kurzen Beitrag natürlich sehr holzschnittartig: Viele Menschen lieben es, direkt zu konsumieren, zu probieren, zu erleben, zu kommunizieren. Die meisten Menschen schätzen aber nicht die Parkplatzsuche, das Schlangestehen, das Suchen nach dem richtigen Regal oder dem niedrigsten Preis. Naja, und mysteriöserweise zahlen Menschen zwar gerne einen hohen Mitgliedsbeitrag, um in einem Fitnessstudio Dinge heben zu dürfen, hassen es aber im gleichen Zuge, Tüten (pardon, Jutebeutel) ohne Aufpreis nach Hause zu tragen. Der Online-Handel war bisher überall dort erfolgreich, wo er Zeit- und Geldersparnisse ermöglichte: Alle Angebote sind nur wenige Klicks entfernt. Dies reduziert die Suchkosten erheblich.

Alle Online-Anbieter stehen im direkten Wettbewerb, was den Preis reduziert und – da mittlerweile die Lieferung der Waren immer schneller erfolgt – Zeit spart, die dann dem Fitnessstudio gewidmet werden kann (um zu walken und Gewichte zu heben).

Solange Jutebeuteltragen nicht olympisch wird, ist es illusorisch zu hoffen, dass der traditionelle Einzelhandel auf diesen drei Feldern dauerhaft den Wettbewerb gegen den Online-Handel gewinnen kann. Aber immerhin ist es möglich, die Vorteile ein Stück weit zu erodieren, dann nämlich, wenn die etablierten Händler ihr Handelsnetz als eine Art virtuelles Angebotssystem verstehen lernen. Wenn die Regalflächen nicht nur Präsentations-, sondern gleichzeitig auch Lagerflächen werden, zum einen für das eigene Warenkontingent, zum anderen aber vielleicht sogar für Waren anderer Offline-Anbieter. Im Filialhandel wird diese Chance bereits intensiv genutzt, um ein fehlendes Produkt in einer benachbarten Filiale ab­zurufen. Diese Möglichkeit muss nicht zwingend an der eigenen Geschäftsgrenze enden. Einkaufszentren könnten dann nicht nur zum lokalen Hub für den Offline-Einkauf werden, sondern gleichzeitig zum Umschlagplatz für andere Center.

Vor allem aber muss der Offline-Einzelhandel größeres Gewicht auf seine relativen Stärken legen: aktives Erlebnis statt passiver Online-Welt, soziale Interaktion und sofortiger Konsum. Auf diesen drei Feldern wird der traditionelle Einzelhandel dauerhaft dem Online-Handel voraus sein.

Unser IREBS-Studienangebot zum Handelsimmobilienökonomen (das Intensivstudium Handelsimmobilien Asset Management) spiegelt diese Anforderungen: Natürlich lernen die Studierenden auch weiterhin, Stockfehler im Asset Management zu vermeiden, Flächen richtig zu berechnen, eine Transaktion angemessen zu begleiten und Mietermanagement effektiv zu organisieren. Daneben tritt aber zusätzlich die Konzeption von Erlebnis- und Gas­tro­nomieflächen und eben das Aufzeigen von teils noch nicht umfassend genutzten Potenzialen der verschmolzenen Online- und Offline-Welt.

Es wäre unzulässig zu versprechen, dass mit diesem Dreiklang jede bestehende Einzel­handelsfläche zukunftsfähig gemacht werden kann.

Doch solange Apple die teuersten Handelsflächen bezahlen kann, solange Amazon und Zalando nach Ladenflächen suchen und solange Menschen Erlebnisse, sofortigen Konsum und soziale Interaktion mögen, solange werden spannende Einzelhandelsformate auch off­line benötigt und liefern Erträge. Strukturwandel verläuft eben nicht eindirektional. Um dies zu verstehen, schauen wir noch einmal auf die Eingangsbeispiele: Das Auto hat nicht dazu geführt, dass niemand mehr reiten möchte. Der Fernseher wurde nicht zum Tod des Kinos, und der Computer hat weder die Besprechungsräume noch die Fußballplätze obsolet gemacht. Kommunikation und Spaß gibt es auch im 21. Jahrhundert weiterhin auch analog. Neue Techniken zerstören jenes an den alten Konsum- und Fertigungsmustern, was wir nicht mochten, aber sie ermöglichen, jenes mehr zu genießen, was wir an den alten Techniken liebten. Das wahre Ziel liegt daher selten im Entweder-oder, sondern sehr viel häufiger im Sowohl-als-auch. Dies lernen die Teilnehmer in unserem Intensivstudium und werden so fit für die Einzelhandelswelt im 21. Jahrhundert.

Weitere Veröffentlichung dieses Texts: Just, Tobias (2019). Handel im 21. Jahrhundert: Alles online, oder was? In: Der Handelsimmobilien Report Nr.  292, S. 10-12.


Prof. Dr. Tobias Just (FRICS)
Prof. Dr. Tobias Just (FRICS) ist Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie und Lehrstuhlinhaber für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg.

IREBS Immobilienakademie GmbH
Kloster Eberbach
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