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IREBS Standpunkt Nr. 45

Zyklen, relative Preise und das dritte Grundprinzip der Ökonomie

Die deutschen Immobilienmärkte stürmen von einem Rekordwert zum nächsten; höchste Transaktionsvolumina, niedrigste Anfangsrenditen, fast egal auf welche Immobilienanlageklasse wir schauen. Wir Analysten werden gezwungen, unsere grundlegend entwarnende Einschätzung hinsichtlich möglicher Überhitzungsanzeichen peu à peu auf Warnstufe „gelb“ anzuheben. Richtig ist, nationale Überhitzungen gibt es nicht. Doch die gab es auch in den USA im Jahr 2006 nicht. Irgendwo in Iowa waren auch damals die Hauspreise nicht gestiegen. Doch mit jedem Jahr, in dem die Preise hierzulande schneller steigen als die Mieten, sollten wir vorsichtiger argumentieren und das Argument, es gäbe doch noch viel schlimmer bewertete Assets – in der Tat, die gibt es – bloß nicht überstrapazieren. Und dass es mittlerweile auch Übertreibungen jenseits der „hot spots“ in den wenigen A-Städten geben könnte, zeigt vielleicht sogar unbewusst die jüngste Publikation von PwC/ULI zu Emerging Trends in European Real Estate auf Seite 25. Dort werden in einer Abbildung die Einschätzungen der befragten Marktakteure zu den Aussichten der einzelnen Immobilienklassen dargestellt. Die Liste der erwarteten Investmentpotenziale für das Jahr 2016 führen Einzelhandelsimmobilien in Bestlagen vor Seniorenwohnungen und Studentenwohnungen an. Unten stehen Sozialwohnungen und Büros in Suburbia. Alles wenig überraschend. Schaut man jedoch genauer hin, erkennt man, dass 40% der Befragten die Perspektive selbst für suburbane Büros für mindestens gut erachten. Überwiegend schlecht wird keine einzige Immobilienanlageklasse beurteilt. Alles geht, egal wo, scheint die Nachricht zu sein.

Und genau diese Beobachtung sollte uns aufhorchen lassen, denn die Wirtschaft entwickelt sich in Zyklen. Menschen aber denken gerne linear. Eine Abwärtsbewegung in einem Zyklus ist auch nur in seltenen Fällen Ausdruck einer geplatzten Spekulationsblase, sondern kann zahlreiche Veränderungen der nachfrage- oder angebotsbestimmenden Einflussfaktoren als Anlass haben, also Veränderungen bei den oft zitierten fundamentalen Faktoren. In den letzten Wochen sind ein paar zusätzliche dunkle Wolken in die gesamtwirtschaftliche Großwetterlage geweht worden: Die chinesische Wirtschaft schwächelt, der Ölpreis und wichtige Industrierohstoffpreise taumeln auf die niedrigsten Werte seit Jahren zu. Für eine massive Abkühlung auf dem Investmentmarkt ist es wohl angesichts der anhaltend hohen Liquidität derzeit noch zu früh. So äußern sich die dunklen Wolken vorerst „nur“ in höherer Marktvolatilität: Die Aktienmärkte, für die solche Schwankungen am einfachsten nachweisbar sind, schwanken gemessen an den Volatilitätskennziffern so stark wie zuletzt im Anschluss an 9/11. Schließlich ist als jüngster Risikofaktor die Zinspolitik in den USA getreten: dort wurde der erste ernste Versuch unternommen, das Zinstal zu verlassen. Wenn China nun künftig als Anleihekäufer für US-Bonds ausfiele, könnte dies Platz für europäisches Kapital, das dann für den Erwerb europäischer Immobilien fehlen würde. All dies sind weder schwarze Schwäne noch geplatzte Blasen, sondern Verbindungen in einer vernetzten globalen und zyklischen Wirtschaft, der sich Deutschland eben nicht entziehen kann.

Daher ist es wichtig, genau hinzuschauen und die unterschwelligen Entwicklungen zu verfolgen. Zyklen entstehen eben auch dadurch, dass es Ausgleichsprozesse zwischen verbundenen Märkten gibt. Gregory Mankiw hat dies gleich in zwei seiner zehn Grundprinzipien der Ökonomie angesprochen. Grundprinzip Nr. 3 besagt, dass kleine Unterschiede in den Kosten- und Nutzeneinschätzungen von Menschen dazu führen, dass man sich für oder gegen etwas entscheidet, z.B. für oder gegen einen Immobilienkauf. Prinzip Nr. 4 ergänzt, dass wir auf Anreize reagieren. Wenn sich die Umwelt ändert, passen wir unser Verhalten an. Zusammen enthalten diese beiden Prinzipien das Gesetz der relativen Preise: Viele Investoren (private und institutionelle) kaufen aktuell deutsche Immobilien, weil diese als relativ zu andere Anlagen als günstig bewertet werden. Steigen jedoch die Anleiherenditen in den USA könnten es sich die Anleger anders überlegen.

Solche Ausgleichsprozesse laufen manchmal schnell und manchmal ganz gemütlich ab, und die Veränderungen in den relativen Preisen lassen sich manchmal ganz einfach in einem Faktor zusammenfassen und manchmal nur durch komplizierte Schätzverfahren isolieren. An der Gültigkeit der Gesetzmäßigkeiten ändert dies jedoch nichts. Wenn also ein Asset in Relation zu anderen Assets deutlich teurer wird, sollten wir aufpassen, denn die relativen Preise verschieben sich. Wenn man dies nicht beachtet, werden Anlagefehler aus einfachen Trendfortschriften gemacht – wie gesagt, Menschen denken lieber linear als zyklisch, (vielleicht passieren daher auch mehr Unfälle im Stadtverkehr als auf Autobahnen).

Einer der mächtigsten Trends, an die wir uns seit etwa zehn Jahren erst wieder gewöhnen mussten, ist der Trend zurück in die Städte. Dies hat etwas mit demografischen Faktoren zu tun, es hat etwas mit steigendem Wohlstand zu tun, und es hat gesellschaftliche Ursachen. Es hat aber eben auch etwas mit relativen Preisen zu tun: In den Jahren von 1994 bis 2007 lag der durchschnittliche Mietanstieg in deutschen Städten bei -0,8% pro Jahr, wohlgemerkt, das ist ein nominaler Wert: Alle anderen Güter im Warenkorb haben sich in diesem Zeitraum verteuert. Wohnen in den Städten wurde also relativ zu anderen Dingen über 13 Jahre lang günstiger. Und wer meint, dies sei ein statistischer Wiedervereinigungsartefakt allein erodierender Ostmieten, liegt falsch. In München erreichten die Neubaumieten erst im Jahr 2009 das Niveau, das in der Spitze 1993 erreicht worden war, in Frankfurt sogar erst im Jahr 2013. In dieser Zeit legte die Kaufkraft der Haushalte mehr als ein Viertel zu, und der Ölpreis versechsfachte sich. Pendeln lohnte sich also immer weniger.

Dies sollten Akteure auf den Wohnimmobilienmärkten nicht verdrängen, denn aktuell wirken offenbar zwei wichtige ökonomische Faktoren stark zentrifugal: Die Mieten und Preise in den Innenstädten steigen deutlich stärker als in der Peripherie, und das Pendelleid spüren wir nur noch im Rücken und nicht mehr an der Zapfsäule. Erinnern wir uns also an den dritten Grundsatz von Mankiw, dann wäre es bei unveränderten Rahmenbedingungen sehr verwunderlich, wenn es nicht wieder mehr Menschen nach draußen zöge.

Ein Run in die Vorstädte wird es wohl nicht geben, denn die sonstigen Argumente für Zuwanderung in die Städte bleiben natürlich intakt. Ausgleichsprozesse können nicht jeden Trend aushebeln. Doch genauso wenig kann jedes Trendargument die Macht der Zyklen ausstechen. Leider müssen erfolgreiche Marktakteure wohl gleichzeitig zyklisch und linear denken können.

 

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