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IREBS Standpunkt Nr. 70

Anker lichten!

Anfang Juli haben wir unsere neuen Kontaktstudiengänge Immobilienökonomie in Eltville und München gestartet. In beiden Studiengängen hielt ich die Vorlesung zu den volkswirtschaftlichen Grundlagen. Die Studenten sollen hierbei lernen, welche Bestimmungsfaktoren typischerweise auf die Nachfrage und auf das Angebot auf Immobilienmärkten einwirken. Sie sollen die Funktionsmechanismen in vollkommenen und unvollkommenen Märkten verstehen, und natürlich geht es auch um die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Immobilienwirtschaft.

In diesem Jahr habe ich vor der Vorlesung einen kleinen Fragebogen verteilt. Die Teilnehmer sollten zwei kleine Aufgaben lösen. In beiden Fragen ging es um eine Einschätzung zur durchschnittlichen Wohnungsmiete pro Quadratmeter im Diplomatenviertel von Lagos, der Hauptstadt Nigerias. Die Studierenden sollten hierbei überlegen, wie sie ohne große Kenntnisse des Marktes und natürlich ohne Googelei eine realistische Preisschätzung zu diesem unbekannten Markt entwickeln können. Die Teilnehmer brüteten. Sie überlegten, was wohl das mittlere Einkommen in Lagos sein könnte, wie die bauliche Qualität im Diplomatenviertel sein dürfte und wer die typischen Nutzer und deren Zahlungsbereitschaft sein dürfte. Es wurde vielleicht über Wohnungsschnitte und Baualtersklassen nachgedacht, und dann nach wenigen Minuten sammelte ich die Zettel wieder ein.

Vielleicht vorab: ich selbst habe überhaupt keine Ahnung wie hoch die mittlere Wohnungs-miete im Diplomatenviertel von Lagos ist. Es ging mir auch nicht darum, dass wir auf unbekannten Märkten recht weit danebenliegen können: Manche Teilnehmer gaben nämlich 2 EUR/m² an, andere 100 EUR/m². Doch weil dies ja letztlich nur eine studentische Spielerei ist, sollte man diese Unterschiede nicht überbewerten. Im echten Leben wären die Schätzversuche enger zusammengerutscht. Hoffe ich.

Tatsächlich ging es mir um etwas Anderes: Die Teilnehmer in Eltville ahnten nämlich nicht, dass ich zwei unterschiedliche Fragebögen verteilt hatte. Die eine Gruppe sollte zunächst einmal überlegen, ob die Miete höher oder niedriger als 10 EUR/m² läge. Erst wenn sie über diese Frage nachgedacht hatten, sollten sie in der zweiten Frage eine genaue Mietschätzung vornehmen. Für die zweite Gruppe änderte ich im Fragebogen nur ein einziges Zeichen: Diese zweite Gruppe sollte in ihrer Antwort auf Frage 1 zunächst angeben, ob die Miete höher oder niedriger als 2 EUR/m² läge.

Es gab also zwei Gruppen, die sich Gedanken über einen ihnen unbekannten Markt machen sollten. Letztlich läuft das dann auf ein bisschen Raterei hinaus und der jeweilige Mittelwert müsste ziemlich ähnlich ausfallen. Es sei denn, es macht für die Befragten einen Unter¬schied, ob sie vorher eine 10 oder eine 2 läsen. In der Verhaltensökonomie spricht man von gesetzten Ankern. Die 10 bzw. 2 wurde für die Teilnehmer unbewusst zu einem Orientierungswert. Er machte ihre Schätzung nicht besser, wirkte aber dennoch wie ein Maßstab. Tatsächlich lag die mittlere geschätzte Miete in der Gruppe 1 um 25% höher als der geschätzte Mietmittelwert von Gruppe 2.

Dieses Ergebnis war erwartet und in der Höhe auch durchaus beachtlich. Dennoch überlegte ich zusammen mit meinem Mitarbeiter Herrn Braun, ob wir den Anker nicht noch etwas verstärken könnten. Wir konnten. Der Münchener Jahrgang startete eine Woche später und auch hier wurden zwei Fragebögen verteilt.

In der ersten Gruppe lag die „Orientierungsmiete“ wieder bei 10 EUR/m², und die Teilnehmer in Gruppe 1 schätzten die Miete in Lagos in etwa dort ein, wo es die Gruppe 1 in Eltville tat. Doch für Gruppe 2 legten wir die Orientierungsmiete auf 50 EUR/m² und hoppla, in dieser Gruppe sprang die mittlere geschätzte Wohnungsmiete auf einen Wert von über 47 EUR/m² und damit auf sage und schreibe 150% des Wertes in der ersten Gruppe. Manchmal können unbedeutende Zahlen eine große Bedeutung erhalten.

Was können wir aus diesem kleinen Klassenzimmerexperiment lernen? Zahlen können wie ein Anker wirken und ohne dass wir es merken unsere ökonomischen Überlegungen prägen. Diese Zahlenvorgabe war (wahrscheinlich) für die Schätzung der Studierenden wichtiger als alle ihre Überlegungen zu verfügbaren Einkommen in Nigeria, zum Immobilienbestand, zu Bevölkerungsentwicklung oder der Bedeutung von Diplomaten in Afrika.

Menschen sind eben keine Computer. Wir haben einige ganz seltsame Verzerrungen in unserem Denken. Damit diese Verzerrungen nicht gefährlich für unsere Immobilienanlagen werden, müssen wir uns immer wieder zwingen, formale Rechnungen durchzuführen, um unsere Bierdeckelheuristiken zu verproben, und wir sollten uns regelmäßig vergegenwärtigen, dass wir permanent durch Zahlen, Formen, Farben und Worte ein Stückweit manipuliert werden. Bevor wir also über ein Wohninvestment in Frankfurt entscheiden, sollten wir schauen, ob im Prospekt unbotmäßig häufig über die Wohnungspreise im Londoner Westend gesprochen wird. Und bevor wir über Baukindergeld entscheiden, sollten wir prüfen, ob häufiger über Spanien als die Schweiz gesprochen wird (die Wohneigentumsquote ist in Spanien mehr als doppelt so hoch wie in der Schweiz).

Es gilt also mit Bedacht möglichst viele Anker zu lichten, damit man bei Immobilieninvestitionen sozusagen immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel behält.


Prof. Dr. Tobias Just (FRICS)
Prof. Dr. Tobias Just (FRICS) ist Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie und Lehrstuhlinhaber für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg.

IREBS Immobilienakademie GmbH
Kloster Eberbach
65346 Eltville

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