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IREBS Standpunkt Nr. 58

Sonnenseiten der Innovation und Schattenseiten des Strukturwandels

Auf die Management-Legende Peter Drucker geht das geflügelte Wort zurück: „Business has only two functions: marketing and innovation.“ Dies gilt natürlich auch für die Immobilienwirtschaft, auch wenn sie bei der zweiten Funktion eher den Entwicklungen in anderen Branchen folgt als diese Entwicklungen bestimmt. Im Zuge der Industrialisierung haben sich weltweilt Städte und Immobilien wahrscheinlich stärker verändert als jemals innerhalb von 100 Jahren zuvor. Es sind gewaltige Agglomerationen entstanden, die höchsten Gebäude, die jemals auf der Erde standen. In den Städten wurden verzweigte Leitungssysteme verbuddelt, und eng vernetzte Verkehrsinfrastrukturen verbinden diese Agglomerationen. Wir arbeiten in deutlich anderen Tätigkeiten als unsere Großväter, mit anderer Technik in anderen Gebäuden. Wir sind in der Lage, unsere Gebäude mit einem Bruchteil der Energie zu beheizen als unsere Großeltern, und wir können Gebäude so planen, dass fast 100% der eingesetzten Materialien recycelt werden können. All dies hat die Immobilien- und Bauwirtschaft begleitet und ermöglicht. Und dennoch ist es richtig, dass die Immobilienwirtschaft der technologischen Entwicklung in vielen Industriebranchen hinterherhinkt.

Die Gründe sind vielfältig. Sie haben etwas mit nicht-patentierbaren Gütern zu tun, mit fehlender Skalierbarkeit in der Er- und Bereitstellung, mit unzureichender Datenlage und daraus resultierender Möglichkeit, asymmetrische Informationen opportunistisch zu nutzen, mit umfangreicher Regulierung und schließlich auch damit, dass es oftmals ökonomisch sinnvoller war, die konkreten Bedürfnisse des zukünftigen Nutzers auszublenden. Es sind solche marktbestimmenden Faktoren, die die Innovationskraft von Branchen bestimmen und weniger die fehlende Bereitschaft oder Offenheit. Auch im Friseurhandwerk oder im Lehrerberuf hat sich in den letzten 50 Jahren vergleichsweise wenig verändert. Branchenwachstum ITK: Die Branche der ITK (Informations- und Telekommunikationstechnik) dürfte nach Schätzungen des Branchenverbands BITCOM in diesem Jahr 160 Mrd. Euro umsetzen, fast 25% mehr als im Dot-com-Euphoriejahr 2001. Gleichzeitig liegt die Arbeitslosenquote in Deutschland aktuell bei rd. 6%; 2001 lag die Quote bei nahezu 10%. Die Bedeutung der Branche ist also im Trend gewachsen und gleichzeitig sind gute Mitarbeiter knapper geworden.

Wenn man verstehen möchte, welche Technologien in Zukunft die Immobilienwirtschaft durchrütteln könnten, gibt es drei Ansatzpunkte: Erstens, welche Technologien verändern die oben skizzierten Rahmenbedingungen für die mangelnde Innovationstätigkeit? Zweitens, welche Technologien sorgen für signifikante Kostenreduktionen und/oder neue Geschäftsmodelle, sprich Qualitäten und Dienstleistungen? Hierfür ist offensichtlich tiefes Verständnis für verändernde Bedürfnisse und gesellschaftliche Verschiebungen entscheidend. Drittens, welche Technologien verschieben das Nutzerverhalten von Immobiliennachfragern so stark, dass sich die Immobilienwirtschaft dieser Entwicklung nicht entziehen kann? Diese drei Fragen stehen nicht beziehungslos nebeneinander, teilweise verstärken sie sich wechselseitig sogar. Genau in solchen Fokalpunkten ist dann mit den heftigsten Disruptionen (und Chancen) zu rechnen.
 

Veränderung der marktlichen Rahmenbedingungen

Insgesamt hat der Wettbewerb in den letzten Jahren in vielen Segmenten der Immobilienwirtschaft zugenommen. Die Branche ist professioneller geworden. So werden viele Unter-nehmen in Nischen gedrängt, Margen reduziert und der Wert von zusätzlichen Informationen nimmt relativ zu. Daher werden alle jene Technologien wichtiger, die Informationen auf kostengünstige Art und Weise in Wissen übertragen können. Die Digitalisierung eröffnet hier gewaltige Potenziale, denn sie ermöglicht es, dass sehr hohe Datenvolumen in sehr kurzer Zeit ausgewertet werden können. Die Immobilienbranche hat sich bereits vor einigen Jahren auf eine Positivspirale der Transparenz begeben. Diese kann sie nicht mehr verlassen. Im Zuge dieser Transparenzverbesserung werden Transaktionsprozesse schneller, die Zugangsbarrieren zu Transaktionen gesenkt, der Wettbewerb intensiver, auch einzelne „Händlerstufen“ dürften dort, wo diese nur Standardinformationen bereitstellen, übersprungen werden können. Die Digitalisierung eröffnet ein in der Immobilienbranche bisher nicht gekanntes Skalierungspotenzial, weil der Zugang zu Informationen und Wissen schwerer regional abgeschottet werden kann. Weil die Daten- und Analysesysteme hohe Investitionskosten erfordern, wird hiermit auch eine Konzentration in vielen Segmenten der Immobilienbranche einhergehen. Allerdings geht es bei dieser Diskussion nicht nur um Blockchain, also die dezentrale und transparente Protokollierung einer Transaktion, oder Künstliche Intelligenz. Sehr häufig können Immobilienunternehmen weit unterhalb dieser Techniken ihre internen Prozesse durch integrierte Datenbanken und Dokumentensysteme effizienter gestalten.
 

Neue Dienste und niedrigere Kosten

Höhere Transparenz zwingt mehr Unternehmen der Immobilien- und Baubranche alle Kostenparameter auf den Prüfstand zu stellen. Ähnlich wie die Industrie Just-in-Time Management in der Logistik einführen musste, wird das Bauprojektmanagement alle Reibungsverluste und Kapitalbindungen minimieren. Die Standardisierung und Automatisierung wird noch tiefer bis in die Designleistungen überall dort eindringen, wo keine Landmark-Architektur notwendig ist. Vor allem werden aber jene Daten wichtiger, die die konkreten Bedürfnisse des Nutzers abbilden. Auch hier wird die Immobilienwirtschaft von der Industrie lernen: Die Prozesse werden also standardisiert, und gleichzeitig nimmt die Zahl der Individualisierungsmöglichkeiten zu. Nicht nur das Bauen auch Immobiliendienstleistungen wie Facility Management und Property Management lassen sich stärker modularisieren und in Service-Päckchen teilen. Damit dies ortsunabhängig geschehen kann, ist Visualisierung von Informationen (sowohl hinsichtlich Daten als auch Objekten) wichtig.
 

Externe Einflüsse aus anderen Branchen

Viele der oben skizzierten Entwicklungen haben ihren Ursprung in der Informations- und Kommunikationsbranche. Über Bande kommen weitere Nachfrageverschiebungen hinzu: Das autonome Fahren wird die Immobilienwirtschaft viel nachhaltiger verändern als die Elektrifizierung des Fuhrparks. Autonomes Fahren wird nicht nur gewaltige Platzreserven in den Städten freisetzen, es wird auch dazu führen, dass produktive und kreative Tätigkeit aus dem Büro oder dem Heimarbeitsplatz ins mobile Büro auf der Straße verlegt werden kann. Bereits heute ist es letztlich erschreckend, dass die meisten Pkw zu über 95% Stehzeuge sind (bei einer Annahme von 15.000 km Jahresleistung und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h). Die Kapitalbindung und der Platzverbrauch sind bereits heute grotesk. Das autonome Fahren wird den impliziten Optionswert des stehenden Fahrzeugs erodieren und damit Platz befreien. Man stelle sich vor, von den aktuell rund 45.000.000 Pkw in Deutschland könnte die Zeit der Stehzeuge nur um 5% reduziert werden. Dies könnte die täglich beparkte Fläche um deutlich über 25 Millionen Quadratmeter befreien oder wenigstens auf günstigere Parkflächen verteilt werden (gerechnet auf der Basis von Normparkflächen von fünf Metern Länge und 2,5 Metern Breite). Gleichzeitig könnte die Logistik reibungsärmer ablaufen und der Versorgungshandel würde in günstigen Lagen zur Logistikfläche reduziert. Die Immobilienwirtschaft wird sich also mit den Fragen der künftigen Flächennutzung, der Ausgestaltung von Hub-Büros, die entstehen, weil ein Teil der Arbeitsleistung bereits auf dem Weg zur Arbeit erledigt sein wird, den Implikationen für die Entwicklung der Städte und der dezentralen Standorte und der Gestaltung gewonnener urbaner, öffentlicher Räume beschäftigen. Es wäre vermessen zu glauben, wir könnten bereits heute alle Effekte haarklein deklinieren. Dafür kennen wir den Fahrplan zum wirklich autonomen Fahren noch nicht. Aber wenn wir es jetzt nicht diskutieren, verbauen wir im wahrsten Sinne des Wortes die Zukunft unserer Städte.
 

Schlussbemerkungen

Innovationen haben immer eine Sonnen- und eine Schattenseite. Auf der Sonnenseite stehen jene, die eine Innovation zu ihrem Vorteil nutzen können. Solche Modernitätsprämien realisieren eher junge Menschen, die noch nicht ihr gesamtes Erwerbsleben in Bestandstechnologien investiert haben. Die Schattenseite ist, dass Innovationen eben immer Bestehendes (wenigstens ein Stückweit) entwerten; das gilt auch für Fertigkeiten von Unternehmen und Mitarbeitern. Solche Strukturbrüche sind nicht einfach. Das Ruhrgebiet hat seit über 50 Jahre mit solch einer Strukturveränderung zu kämpfen – und der Kampf ist noch nicht vorbei. Es wäre fahrlässig zu hoffen, dass ausgerechnet die Digitalisierung nur eine Sonnenseite hätte. Es ist für Unternehmen daher wichtig, sich mit den Entwicklungen vertraut zu machen und Mitarbeiter vorzubereiten.

Zum Glück bleibt bei aller Technikbegeisterung der abschließende Hinweis, dass die Digitalisierung weder das Ende des Unternehmertums noch das Ende der Arbeit bedeutet. Selbst Maschinen mit künstlicher Intelligenz gehen durch Motivation nicht die „Extrameile“, und sie schaffen bei einem gemütlichen Bierchen auch keine neue Geschäftsidee oder Kundenbeziehung. Computer sind fantastisch im Erkennen von Strukturen und Analysieren von Symbolen. Doch sie erkennen nur Strukturen, die der Programmierer zuließ und manchmal liegt eine Lösung außerhalb von gewohnten Strukturen. Es ist sogar möglich, dass wir mit der Massendatenanalyse systematische Fehler machen können, weil die Maschine nicht den „gesunden Menschenverstand“ eingeschaltet hatte. Schließlich erzeugen Maschinen im Gespräch kein Vertrauen, das gerade in der Immobilienwirtschaft wichtig bleibt, denn auch in der Zukunft werden Immobilienmärkte anders funktionieren als die Märkte für Spiele-Apps oder Zahnbürsten.

Weitere Veröffentlichung dieses Texts: Immobilienwirtschaft, Ausgabe 02/17, "Nicht die Zukunft verbauen", Seite 51-53, https://www.haufe.de/immobilien/


Prof. Dr. Tobias Just (FRICS)
Prof. Dr. Tobias Just (FRICS) ist Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie und Lehrstuhlinhaber für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg.

IREBS Immobilienakademie GmbH
Kloster Eberbach
65346 Eltville

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