


10.08.2016 3341 Prof. Dr. Andreas Pfnür, Technische Universität Darmstad und Prof. Dr. Tobias Ju
Wirtschaftliche Strukturen sind einem permanenten Wandel unterworfen. Doch es gibt Phasen, in denen sich dieser Wandel beschleunigt, entweder weil eine neue Querschnittstechnologie entwickelt wurde oder weil der institutionelle Rahmen des Wirtschaftens verändert wurde. Die letzten drei Jahrzehnte waren durch zwei parallele, und sich wechselseitig verstärkende Trends geprägt: Zum einen sanken die Kosten für die Datenverarbeitung und die Datenübermittlung rasant, sodass sich ganz neue Branchen und Wertschöpfungsstufen in den Unternehmen bildeten. Das Internet und darauf aufbauend die Datenverflechtung von Fertigungsprozessen (Industrie 4.0) sind letztlich nur zwei jüngere Stufen dieser Entwicklung. Parallel dazu öffneten sich zum anderen gewaltige Märkte dem weltwirtschaftlichen Austausch. China wurde zur Werkbank der Welt, Indien zur Software-Schmiede. Und der damit einhergehende wirtschaftliche Erfolg schuf große Absatzmärkte für Konsum- und Industriegüter.
Die deutsche Industrie ist dabei gleichzeitig Profiteur und Verlierer: Auf der einen Seite wurden Millionen gering qualifizierte Arbeitsplätze aus Deutschland in so genannte Billiglohnländer verlagert. Auf der anderen Seite wurden Millionen neue Jobs im Dienstleistungsbereich und für höherwertige Tätigkeiten der Industrie geschaffen. Diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen, denn die zwei bestimmenden Trends – wirtschaftliche Öffnung und Digitalisierung der Wertschöpfungsprozesse – sind noch nicht erlahmt. Für die produzierenden Unternehmen sowie die Immobilienwirtschaft ist das wichtig, denn diese Veränderungen werden massive Auswirkungen auf die betrieblichen Arbeitsabläufe und folglich auch auf den konkreten Bedarf an Immobilien durch das verarbeitende Gewerbe haben. Auf den ersten Blick führen beide Trends zu einem verstärkten Kostenwettbewerb. Dies zwingt die Unter-nehmen, alle Kostenparameter auf den Prüfstand zu stellen. Doch ist dies nur eine Facette, denn die Digitalisierung verläuft ergebnisoffen, und viele Unternehmen in Schwellenmärkten stoßen in höhere Wertschöpfungsstufen vor und werden damit zu Konkurrenten deutscher Unternehmen in wissensintensiven Branchen. Daher ist Kostenführerschaft für viele Industrieunternehmen nicht die beste Strategie, sondern Innovationsführerschaft bei strenger Kostenkontrolle. Nun ist Kreativität per Definition schwer zu planen, eine Innovationsführerschaft erfordert also Offenheit im Prozess und Ergebnis. Die Immobilien des verarbeitenden Gewerbes – und hier insbesondere der weniger kapitalintensiven Leichtindustrie – müssen die-sen Anforderungen genügen.
Was bedeutet dies? In einem reinen Kostenwettbewerb gibt es eine kostenoptimale Lösung: Größenvorteile (Skaleneffekte?) in der Fertigung führen zu großen Betriebseinheiten, Lohnkostenkonkurrenz führt zur Verlagerung von Betriebsstätten. Ist diese Logik von Dauer, wer-den sehr spezifische Gebäude entstehen, die mitunter für jahrzehntelange Nutzung konzipiert sind. Doch in einem Innovationsführerwettbewerb wird Flexibilität wichtiger, denn der optimale Prozess ist noch nicht gefunden; letztlich müssen noch zahlreiche Märkte neu entdeckt werden. In solch einem Wettbewerbsumfeld ist Flexibilität häufig wichtiger als kurzfristige Kostenreduktion.
In einer aktuellen Umfrage, die wir für die Aurelis bei großen mittelständischen Unternehmen aus produktionsnahen Branchen (>3.000 Mitarbeiter) durchgeführt haben, zeigt sich diese Verschiebung eindrucksvoll: Zwei Drittel der Befragten rechnen mit steigendem Bedarf an flexiblen Flächen im eigenen Unternehmen, und fast 70% der Befragten zählen die Flexibilität des Immobilienportfolios zu den zentralen Herausforderungen im Management von produktionsnahen Immobilien – rein wirtschaftliche (Kosten-)Aspekte wurden direkt dahinter am zweithäufigsten genannt. Der Abstand zwischen diesen beiden Kernherausforderungen ist aber sehr groß.
Flexibilität zu fordern ist einfach, doch die Umsetzung ist nicht trivial. Drei Dinge sind entscheidend: 1. Die eigenen Fertigungsprozesse dürfen nicht sehr spezifisch sein, denn je besonderer die Anforderungen der Fertigung an ein Gebäude sind, desto spezifischer muss auch dieses Gebäude sein und desto schwieriger wird es, dieses Gebäude für andere interne oder externe Nutzungen zu erschließen. 2. Neben dieser Objektflexibilität ist die Flexibilität im Portfolio wichtig. Hierfür bedarf es eines liquiden Investmentmarktes, wenigstens aber eines liquiden Vermietungsmarktes, denn nur dann können kurzfristig zusätzliche Flächen in Anspruch genommen werden oder nicht mehr benötigte Flächen auch abgestoßen werden. Neben der Drittverwendungsfähigkeit der Gebäude ist also ein gut informierter und aktiver Immobilienkapitalmarkt wichtig, der auch auf produktionsnahe Objekte schaut. 3. Hierfür ist ein professionelles Immobilienmanagement unabkömmlich, das quasi das Scharnier zwischen den aktuellen Bestandshaltern einerseits und dem Kapitalmarkt beziehungsweise künftigen Nutzern andererseits bildet.
Zu diesen drei Aspekten liefert unsere Studie wertvolle Erkenntnisse:
Für die nächsten Jahre lassen sich aus diesen Überlegungen sowie aus den Ergebnissen der Befragung zentrale Schlussfolgerungen ableiten: Der Bedarf an flexiblen, also drittverwendungsfähigen Gebäuden wird zunehmen. Damit dieser Bedarf gedeckt werden kann, muss ein liquider Markt für solche Objekte entstehen. Dieser Markt kann nur entstehen, wenn institutionelle Investoren ihre Unsicherheit hinsichtlich der Anlageklasse ablegen können. Angesichts stark sinkender Mietrenditen in traditionellen Kernanlagemärkten, steigt der Wert professioneller Beratung und professionellen Managements offenbar an. Wir vermuten, dass in diesem jungen Managementsegment Größenvorteile liegen, weil sich der Bestand produktionsnaher Immobilien eben nicht gleichmäßig über Deutschland verteilt, sondern in wenigen Zentren ballt. Dann wird der Vorteil regionaler Expertise rasch durch die Expertise über die Funktionsweise einer Assetklasse kompensiert.
Weitere Veröffentlichung dieses Texts: ZOOM – Aurelis aus der Nähe, Ausgabe 2/2016
Prof. Dr. Tobias Just FRICS
IREBS Immobilienakademie GmbH
Kloster Eberbach
65346 Eltville
E-Mail: tobias.just@irebs.de
Prof. Dr. Tobias Just FRICS ist Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie und Lehrstuhlinhaber für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg.
Prof. Dr. Andreas Pfnür
Technische Universität Darmstadt
Hochschulstraße 1
64289 Darmstadt
Telefon: 06151 16-24510
E-Mail: pfnuer@bwl.tu-darmstadt.de
www.real-estate.bwl.tu-darmstadt.de
Prof. Dr. Andreas Pfnür ist Leiter des Fachgebiets Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Darmstadt.
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