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IREBS Standpunkt Nr. 49

Der Brexit ist überhaupt kein Segen für die deutsche Immobilienwirtschaft

Die Buchmacher lagen falsch. Die Kapitalmärkte lagen falsch. Die Umfragen lagen (zuletzt) falsch. Ich selbst hielt es auch für sehr unwahrscheinlich, dass sich die Mehrheit der Briten für den Ausstieg aus der Europäischen Union entscheidet. Doch die Wähler haben entschieden: knapp 52% der wählenden Briten wählten den Ausstieg. Die Kapitalmärkte reagierten wie Kapitalmärkte halt auf gravierende Entscheidungen reagieren: extrem nervös: Die Börsenleitindizes brachen europaweit ein, das Pfund wertete auf Niveaus ab, die wir zuletzt in den achtziger Jahren gesehen haben; und der Euro gleich mit ab.

Was davon nach ein paar Handelstagen übrig bleibt, ist unsicher, letztlich ist es für die Immobilienwirtschaft auch unwichtig. Für Immobilienmarktakteure sind die längerfristigen Implikationen wichtiger als das Schnappatmen an den Kapitalmärkten. Was sind längerfristige Implikationen? Hierzu wurden in den letzten Wochen zahlreiche Schätzungen durch die Gazetten getrieben: Die OECD veranschlagte die Kosten des Brexit über die nächsten Jahre auf 2.200 bis 3.200 Pfund je Haushalt. Das klingt moderat, entspricht bei knapp 27 Millionen Haushalten aber immerhin fast 100 Milliarden Pfund. Diese Zahl ist beeindruckend, doch wertlos. Die Verhandlungen über den Brexit werden bis zu zwei Jahre andauern, erst dann lassen sich die Auswirkungen seriös schätzen. In den ersten Stunden nach der Entscheidung ist an den europäischen Börsen jedenfalls ein Vielfaches dieses Schätzwertes verloren gegangen. Es beruhigt auch nicht, dass diese Tagesverluste nicht viel mehr als den Wochengewinnen zuvor entsprachen, denn die gestiegene Volatilität misst letztlich Unsicherheit.

In den letzten fünf Jahren waren solche Kapitalmarktturbulenzen immer gut für die deutschen Immobilienmärkte. Die Unsicherheit in anderen Assetklassen drängte Anleger in die vermeintlich sichereren Häfen. Immobilieninvestments wurden dazu gezählt. Das wird dieses Mal nicht anders sein. Manch Immobilienprofessional argumentiert, dass der Brexit ja Chancen für deutsche Märkte bedeutet, weil neben die liquiditätsgetriebenen Preissteigerungen nun neue Flächennutzer kommen könnten. Möglicherweise kommt es nämlich zur Verlagerung von ein paar Tausend Arbeitsplätzen aus der City in andere Finanzzentren. Wie viele davon allerdings Frankfurt am Main abbekommt, ist unklar. Gemäß dem jüngsten Global Financial Centre Ranking der Z/Yen-Group kommt Frankfurt innerhalb Europas nur noch auf Platz 5 der wichtigsten Finanzzentren – hinter Luxemburg, Genf, Zürich und natürlich London. Weltweit entspricht dies nur Platz 18 – möglich also, dass in Falle eines Banker- und Beraterexodus aus der City andere Standorte mehr profitieren als deutsche Städte. Ungeachtet davon werden die Spekulationen über Wohn- und Büroflächenbedarfe wahrscheinlich ins Kraut schießen und damit die Preisentwicklung befeuern.

Kurzfristig könnten die deutschen Immobilienmärkte also tatsächlich von dem Brexit profitieren, doch ein Grund zum Jubeln ist dies nicht, denn dieser Kurzfristeffekt wird sehr teuer erkauft. Ich möchte mich bei den längerfristigen Kosten auf fünf Positionen beschränken. Alle diese Effekte werden die deutschen Immobilienmärkte mittelbar belasten, und jeder dieser mittelbaren Impulse könnte schwerer wiegen als die kurzfristigen Spekulationsgewinne.

Erstens, die Desintegration hat das Pfund geschwächt. Großbritannien ist für deutsche Unternehmen das drittwichtigste Zielland: Waren im Wert von 90 Milliarden Euro wurden 2015 nach Großbritannien geliefert. Was aber im Falle einer Abwertung des Pfunds noch wichtiger ist: Der Außenbeitrag lag bei über 50 Milliarden Euro. Da es bei einem schwachen Pfund für Briten teurer wird, bei uns einzukaufen, wird dieser Betrag sinken und folglich die deutsche Industrie treffen. Dieser Effekt wird dann sogar noch größer ausfallen, weil zweitens der Exit dazu führen kann, dass die Transaktionskosten steigen und die Einkommen in UK langsamer wachsen als im Alternativszenario eines Verbleibs. Dies sind die oben beschriebenen Einkommenseffekte, die die OECD veranschlagte. Drittens werden die Zinsspielräume in Kontinentaleuropa noch stärker eingeengt als sie es sowieso schon waren, und auch dies wird den Anlagedruck in Risikoanlageklassen erhöhen. Wir werden kurzfristig also noch mehr „Experten“ auf Nischenmärkten der Immobilienwirtschaft erleben als wir es in den letzten Jahren bereits erlebten, weil die Alternativen auf den Core-Immobilienmärkten oder v.a. bei Anleihen noch ungünstiger bleiben. Viertens werden einige deutsche Investoren, die in den sicheren Anlagehafen London gesetzt hatten, eine doppelte Enttäuschung erleben: Der Wechselkurseffekt erodiert zumindest den nicht hinreichend abgesicherten Cashflow ihrer Anlage und gleichzeitig könnte es im Zuge der konjunkturellen Eintrübung zu notwendigen Wertänderungen nach unten kommen. So erreicht der Brexit mittelbar auch viele Kleinsparer, die in Fonds oder Versicherungen ihr Geld in Sicherheit wähnten. Der für mich aber wichtigste Aspekt ist Punkt 5. Der Brexit stellt die EU vor ein gefährliches Dilemma: Eigentlich wäre es sinnvoll, eine Strategie mit UK zu verhandeln, die eine weitreichende Partnerschaft mit vielen Freiheiten ermöglicht, damit die Vorteile offener Märkte eben nicht durch den Brexit verloren gehen. Doch dies ist nur dann möglich, wenn man mit solchen Verhandlungen nicht andere Exit-Aspiranten zur Nachahmung motiviert. So werden die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien in den nächsten zwei Jahren nicht nur durch rationale Überlegungen und etwas gekränkten Stolz geprägt sein, sondern durch permanente Störfeuer Unbeteiligter, die die EU zu einem Exempel nötigen könnten, um eben keine Nachahmer einzuladen. So kann niemand gewinnen, denn die Verhandlungen werden hinausgezögert. Die Unsicherheit bleibt zu lange zu hoch. Und Unsicherheit ist für Unternehmen teuer und schreit nach höheren Risikoprämien für Investoren.

Alle diese Punkte werden eben nicht langfristig als Nachfragestimulus für die Vermietungsmärkte bei uns ankommen, sondern sie werden das wirtschaftliche Wachstum auch hierzulande schmälern, die Transaktionskosten erhöhen und müssten eine Risikoprämie erfordern. Doch dafür bliebe bei anhaltend steigenden Immobilienpreisen immer weniger Platz. Dass in diesem Umfeld hoher Unsicherheit ein Zusammengehen historischer Höchstbewertungen bei (fast) allen Anlageklassen – also Immobilien, Aktien, Anleihen, Gold, Infrastruktur – ein merkwürdiges Zeichen impliziten Optimismus ist, macht die Wahrscheinlichkeit eines mittelfristigen „soft landing“ sicherlich nicht größer. Daher ist der heutige Tag für die deutsche Immobilienwirtschaft nicht gut.

Einige Optimisten hoffen, dass der Brexit wenigstens als Warnschuss für die europäischen Institutionen dient, um ein paar Reformen durchzuführen. Man könnte dies pathologisches Lernen nennen. Wollen wir also hoffen, dass wir langfristig immerhin einen Pyrrhus-Sieg erringen können. Leider sind Ökonomen immer so beängstigend still bei der Definition wie lang denn nun „langfristig“ konkret ist.

 

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