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IREBS Standpunkt Nr. 38

Über Kriege und Schönheitswettbewerbe

In den letzten Wochen wurde ich mindestens dreimal in Gesprächen oder Diskussionsrunden angesprochen, wie sich die Immobilienwirtschaft auf den künftig drohenden „War for talent“ einstellen sollte. Diese Häufung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Erstens ist der Begriff fast 20 Jahre alt; die aktuelle Diskussionshäufigkeit kommt demnach – nun ja – keineswegs zu früh. Zweitens, und damit verbunden, wirft dies die Anschlussfrage auf, warum sich die Branche erst jetzt damit intensiver zu befassen scheint. Drittens, mit Verlaub, erachte ich den Begriff auch nach fast 20 Jahren noch immer als irritierend und irreführend. Doch eins nach dem anderen.

Zunächst, was verbirgt sich hinter dem Begriff „War for talent“? Gemeint ist in der Regel die Erwartung (zumindest zum Stand 1997), dass die knappe Ressource Talent als unternehmensentscheidend erkannt wird und dass es einen härteren Wettbewerb um die besten Talente geben wird. Manchmal bezieht sich der Begriff auf Managementtalente, manchmal auf Datenverarbeitungstalente und manchmal auf kreative Talente, die helfen, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Dabei ist es zunächst einmal nicht trivial, die Befürchtung von knapp werdenden Talenten ausgerechnet zu einer Zeit zu hegen, in der es weltweit mehr gut ausgebildete Wissensarbeiter gibt als jemals zuvor, in der es überhaupt weltweit mehr Menschen gibt als jemals zuvor und in der es mehr Kapital gibt, mit dem sich die Wissensarbeiter die lästigen Handarbeiten abnehmen lassen können, als jemals zuvor.

Warum also ist Talentmanagement heute für die Immobilienwirtschaft so wichtig? Es ist letztlich eine Melange aus (mindestens) drei Faktoren:

  • Erstens unterliegen viele Sektoren der Immobilienbranche heute einem intensiveren Wettbewerb als vor 20 Jahren. Wettbewerb erodiert Renditen. Für diese Entwicklung sorgen unter anderem ein höherer Grad der Professionalisierung, mehr internationale Marktteilnehmer und damit verbunden auch eine höhere Transparenz. Die Notwendigkeit zum Kosteneinsparen sowie zum Erobern neuer Nischen ist die logische Konsequenz, um dem Renditedruck zu entgehen. Und genau für diese zwei Strategien bedarf es neuer Talente.
  • Gleichzeitig schafft die in den letzten Jahren gut laufende Konjunktur für viele Arbeitnehmer Optionen. Gemäß den vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamts waren 2014 mit über 42,5 Millionen Personen mehr Menschen erwerbstätig als jemals zuvor in Deutschland. Die Zahl der Arbeitslosen lag im Januar 2015 um über zwei Millionen unterhalb des Januarwertes des Jahres 2005. Arbeitnehmer können es sich heute leisten, wählerischer zu sein als in der Vergangenheit.
  • Der dritte Faktor ist die schleichende demografische Verschiebung in der Gesellschaft und in vielen Unternehmen. Darin liegt eine seit Jahrzehnten angekündigte Herausforderung: einer deutlich steigenden Gruppe älterer steht eine schrumpfende Gruppe jüngerer Mitarbeiter gegenüber. Die Zahl der Menschen in Deutschland, die im Jahr 2025 zwischen 20 und 30 Jahren alt sein werden, dürfte dann um ein Drittel niedriger sein als die Vergleichszahl 1990. Gleichzeitig wird die Zahl der Menschen, die dann zwischen 50 und 65 Jahre alt sein werden um ein Drittel höher sein als 1990. Immer mehr ältere Mitarbeiter werden folglich ausscheiden und müssen ersetzt werden, der Pool der Arbeitssuchenden könnte aufgrund günstiger Konjunktur und unvorteilhafter Demografie austrocknen. Und daraus resultiert das Bild eines „War for talent“.

Diese drei Faktoren führen dazu, dass Talente knapp zu werden drohen, und hier befinden sich die Unternehmen der Immobilienwirtschaft nicht nur im Wettbewerb mit anderen Immobilienunternehmen, sondern eben auch mit Unternehmen der Automobilwirtschaft, des Maschinenbaus oder mit Kommunikationsdienstleistern im In- und Ausland. Und weil die Immobilienwirtschaft – gerechtfertigt oder nicht – als ach so unsexy gilt, könnten sich Immobilienunternehmen in diesem Wettbewerb schwertun, so die Sorge.

Dieses Bild ist mit dickem Pinsel gemalt. Es unterschätzt die Dynamik von Marktprozessen, denn die Logik gilt nur, wenn die Arbeitsproduktivität konstant bleibt. Weder scheiterte die Automobilwirtschaft an der begrenzten Zahl der Chauffeure noch scheiterte die Computerindustrie an der begrenzten Zahl der Sekretärinnen oder Programmierer. Warum sollte es unmöglich sein, arbeitssparende Innovationen in der Bau- und Immobilienwirtschaft umzusetzen? Innovationen und gesellschaftliche Veränderungen haben ganz neue Branchen und Tätigkeiten geschaffen, andere obsolet gemacht. Wenn Arbeit teurer wird, wird sie teilweise automatisiert oder verlagert. Ein Teil des „War for talent“ wird also eher ein „War for innovation“. Gut, doch auch um dies zu managen, braucht man Talente.

Es wäre jedoch falsch, würde man glauben, dass die Immobilienwirtschaft in Zukunft nur kreative Wissensarbeiter benötigt. Die zwei Millionen geschaffenen Jobs waren ja nicht nur Ingenieure oder Informatiker, und die demografische Entwicklung wird alle Qualifikationsstufen betreffen. Die notwendige Talentsuche betrifft nicht nur die Jobs in weißen Hemden und weißen Kitteln, sondern auch jene in blauen und grauen Kitteln. Eine einfache Daumenregel lässt sich nicht für die Vielfalt aller Sparten der Immobilienwirtschaft aufstellen. Richtig ist, dass die Bau- und Immobilienwirtschaft nicht so einfach Jobs automatisieren oder ins Aulsand verlagern kann wie das Verarbeitende Gewerbe oder die Informations- und Kommunikationsdienstleister. Doch einige Erfahrungen in der Industrie lassen sich übertragen, und vor allem profitiert die Immobilienbranche mittelbar von Produktivitätssteigerungen in der Industrie und anderen Dienstleistungen. Die Entwicklung arbeitssparender Erfindungen und Innovationen endet eben weder 1997 noch 2015.

Doch der Begriff des „War for talent“ ist nicht nur deswegen ungenau, weil das Wort Talent erst mit branchenspezifischem Leben gefüllt werden muss, sondern weil er zu falschen Strategien in der Personalpolitik verleitet. Ungeachtet davon ist der Begriff eine zynische Verharmlosung des Kriegs: Wir hatten in den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit keinen „War for jobs“, und wir werden auch in Zukunft keinen „War for talent“ haben. Nun könnte man sagen, was soll die semantische Erbsenzählerei? Die Hauptsache ist, dass alle wissen, was gemeint ist. Aber ist das immer gegeben? Wenn eine schiefe Begrifflichkeit die Personalpolitik prägt, dann könnte sich das für Unternehmen mittelfristig als gefährlich erweisen. Wer zum Krieg rüstet, gewinnt möglicherweise nicht kreative, verantwortungs- und selbstbewusste Menschen, die in der Lage sind, in Teams konstruktiv Lösungen jenseits des Üblichen zu erarbeiten.

Tatsächlich dürfte der Wettbewerb um Talente eher einem Schönheitswettbewerb als einer Schlacht ähneln, denn die Unternehmen müssen sich hübsch machen für die knapp werdenden Talente. Junge Mitarbeiter suchen einen Mix aus angemessener Bezahlung, attraktiven Arbeitsplätzen, einer selbstbestimmten Tätigkeit, die möglicherweise auch Freizeit zulässt und vor allem spannende Aufgaben in gut funktionierenden Arbeitsgruppen. Solche Pakete lassen sich durchaus auch ohne kriegerisches Getue schnüren. Jene Unternehmen, denen genau dies gelingt, werden auch in Zukunft motivierte Mitarbeiter gewinnen und halten können. Eine zentrale Fähigkeit des Management dürfte dann darin liegen, zu erkennen, welche Mitarbeiter im Bestand so qualifiziert werden können, dass sie die gesuchten Talente entwickeln können. Talententwicklung ist dabei zwar meistens mühsamer, dürfte aber langfristig passgenauer auf die unternehmensinterne Bedürfnisse sein als die Talentsuche.

Erwarte ich nun, dass ich irgendwann einmal nach den Implikationen des „Beauty contest for talent“ für die Immobilienwirtschaft gefragt werde? Nein, das klingt einfach nicht dramatisch und irgendwie auch nicht maskulin genug für Diskussionsrunden und Konferenzen. Schade eigentlich.

Zum Weiterlesen:
Just, T., Uttich, S. (2015). Es sind nicht nur Gebäude. Frankfurter Societäts Verlag, Frankfurt a.M.
Michaels, E., Handfield-Jones, H., Axelrod, B. (2001). The war for talent. HBS Press, Boston.

 

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