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IREBS Standpunkt Nr. 29

Über Immobilienpreisblasen und die Sorge vor Velociraptoren

Wenn man so durch die Finanzseiten der Tageszeitungen blättert, wird man seit Monaten nicht mehr den Eindruck los, ein gewaltiges Problem für Kapitalanleger schlummert in den Wohnimmobilien, weil sich dort angeblich eine neue spekulative Blase aufpumpt. Die Bundesbank warnt. Der Finanzminister warnt. Ein Allianz-Vorstand macht sich zunehmend Sorgen. Tatsächlich stiegen die Wohnungspreise in vielen deutschen Städten in den letzten Jahren deutlich schneller als in den Jahren zuvor, und in einer steigenden Zahl von Städten auch schneller als Einkommen und/oder Mieten. Die Wunden auf den US-amerikanischen, spanischen oder irischen Wohnungsmärkten sind noch kaum richtig verheilt.

Gleichwohl lehrt uns die Geschichte, dass die Erinnerung an die mit Exzessen verbundenen Kosten häufig nur allzu schnell verblasst. Das gilt im Privaten möglicherweise für den Kater nach einer fröhlichen Nacht und gilt auch für Übertreibungen auf Vermögensmärkten. Wer hier Zweifel hegt, möge sich einfach mal die Geschichte der zurückliegenden Übertreibungen zum Beispiel in dem Buch von Charles Kindleberger und Robert Aliber „Manias, Panics and Crashes“ durchlesen. Gerade die letzten vier Jahrzehnte können uns vorkommen wie eine schier endlose Kette von nie gänzlich unverbundenen Übertreibungen.

In diesem Standpunkt geht es jedoch nicht darum, ob die Warnung vor einer spekulativen Übertreibung auf „den“ deutschen Wohnungsmärkten angemessen ist oder nicht. Richtig ist zwar, dass die Preisdynamik keineswegs mehr auf wenige Topstandorte in sogenannten Topstädten beschränkt ist, doch letztlich bleibt es auch 2014 richtig, dass viele fundamentale Faktoren anhaltende Preissteigerungen auf Wohnungsmärkten rechtfertigen. Spürbare Übertreibungen beschränken sich wohl nur auf wenige Wohnungsstandorte, wo überwiegend eigenkapitalstarke Anleger aktiv sein dürften. Der Vergleich mit den Exzessen in Spanien oder Irland hinkt also noch immer.

Nein, in diesem Standpunkt geht es darum, dass wenn man die deutschen Wohnungsmärkte als überhitzt kennzeichnen möchte und vor einer Kurskorrektur warnt, die Argumentation in ähnlicher Weise dringend auf andere europäische Immobilienmärkte ausgedehnt werden sollte. Dies gilt sowohl für europäische Wohnungsmärkte als auch für europäische Gewerbeimmobilienmärkte. So zeigen beispielsweise die Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), dass die Wohnungspreise in Deutschland zwischen Ende 2008 und Ende 2013 um 10% zulegten. Sicher, das ist mehr als doppelt so viel wie in den vier Jahren vor 2009. Doch in der Schweiz und in Finnland fiel der Preisanstieg seit Ende 2008 doppelt so hoch aus wie bei uns, in Norwegen sogar fast viermal so hoch. Und selbst in Großbritannien, wo 2006 das Platzen einer Hauspreisblase attestiert wurde, klettern die Hauspreise bis zuletzt schneller als bei uns in Deutschland – und das obwohl es keine nennenswerte Preiskorrektur in den letzten Jahren in Großbritannien gegeben hatte. Auch im Vergleich zu nicht-europäischen Ländern ist die deutsche Hauspreisdynamik gemäß den BIZ-Zahlen besten-falls Durchschnitt: In Australien stiegen die Hauspreise seit Ende 2008 um fast 30%, in Kanada um fast 40% und sogar in den USA, sozusagen der empfundenen Heimat der letzten Hauspreisblase, sind die Preise seit dem Tiefpunkt wieder um über 20% gestiegen.

Ähnliches zeigt sich, wenn wir die Hauspreisentwicklung in Deutschland beispielsweise mit jener auf den gewerblichen Immobilienmärkten in Europa vergleichen: Die Mietrenditen für Neubauwohnungen in Frankfurt und München sind von Ende 2008 bis Ende 2013 von 3,8% auf 3,1% (München) bzw. 4,1% auf 3,8% (Frankfurt) gefallen. Die Preise sind also schneller gestiegen als die Mieten, und dies wird zu Recht als ein Hinweis dafür gesehen, dass in diesen Städten vermehrt spekulative Investments vorgenommen wurden.

Nun hat sich die Mietrendite für Münchner Büroflächen im selben Zeitraum von 5,3% auf 4,40% gesenkt; jene in London und Paris liegt mit aktuell rd. 4% nicht nur rd. 1,5%-Punkte unterhalb des Wertes von 2008, sondern auch in der Nähe des Tiefstwertes der letzten zehn Jahre. Eine sehr ähnliche Entwicklung vollzog sich bei den relativen Preisen für Einzelhandelsimmobilien in Paris oder London. Wer also seine Stimme erhebt, um vor Wohnungspreisblasen in Deutschland zu warnen, sollte also auch schreien, um vor den Fehlentwicklung auf (ausgewählten) Gewerbemärkten zu warnen.

Aufschlussreich ist der Vergleich des Spreads der gewerblichen Mietrenditen zu den Mietrenditen für deutsche Neubauwohnungen: Für Frankfurt und München liegt dieser Spread aktuell in etwa auf der Höhe des langjährigen Mittels – sprich, wenn die Wohnungen in München und Frankfurt als überbewertet gelten, könnten dies die Büros auch. Die Spreads für Londoner oder Pariser Büroflächen und vor allem für die Einzelhandelsflächen in diesen Metropolen gegenüber den Frankfurter bzw. Münchener Neubauwohnungsrenditen liegt aktuell deutlich unterhalb des langjährigen Mittelwertes. Das heißt, Investoren waren gewohnt, eine Risikoprämie für ausländische Gewerbeimmobilien gegenüber deutschen Neubauwohnungen zu verlangen, und diese ist in den letzten Jahren deutlich geschrumpft; im Falle der Einzelhandelsimmobilien ist sie sogar vollständig verloren.

Zusammenfassen lässt sich also festhalten: Die Preisentwicklung nicht nur auf vielen europäischen Wohnungsmärkten ist spürbar größer als hierzulande; außerdem war die Dynamik auf vielen Gewerbeimmobilienmärkten wesentlich stärker als auf den „heißesten“ deutschen Wohnungsmärkten. Es stellt sich also die Frage, ob wir bei aller Vorsicht vor Übertreibungen auf den Wohnungsmärkten auch auf alle Gefahren achten? Das erinnert ein wenig an die Szene in Jurassic Park (Teil 1), bei der ein Großwildjäger einem Velociraptor, also einem dieser schnellen Raubsaurier, direkt in die Augen schaut und ganz langsam sein Gewehr hebt und dabei leider übersieht, dass sich ein zweiter Raptor schon längst von der Seite angeschlichen hat und nun die letztlich letale Gefahr darstellt.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch für die Gewerbeimmobilienmärkte die Frage bleibt: Wohin denn sonst mit den Anlagemilliarden? Selbst für London liegen die Spreads der Mietrenditen gegenüber den Renditen 10-jähriger Staatsanleihen noch immer bei über 100 Basispunkten, für Paris liegen sie um 240 Basispunkte über den Staatsanleiherenditen; für Frankfurter Büroflächen beläuft sich der Spread sogar auf 345 Basispunkte. Doch gerade dieser Sachverhalt darf kaum beruhigen, denn wahrscheinlich ist ja das Niveau der Staatsanleiherenditen nicht nachhaltig. Und dann könnte sich die künftige Entwicklung der Anleihe-zinsen als der T-Rex, nicht nur für die Immobilienmärkte, herausstellen. Steigen die Staatsanleihezinsen in den nächsten Jahren (nur) auf den langjährigen Mittelwert, so schrumpelt der auskömmliche Spread erheblich zusammen – für Londoner Büroimmobilien würde er negativ. Dass uns bisher die Gründe fehlen, an steigende langfristige Zinsen zu glauben, ist dann wohl auch nur ein geborgtes Glück.

Schließlich darf dies auch nicht als vollständige Beruhigung für die deutschen Wohnungsmärkte missverstanden werden, vor allem mit dem Blick auf große Portfoliofinanzierungen könnten uns noch zusätzliche Bedenken einfallen. Doch dies lässt sich erst dann genauer argumentieren, wenn wir im September die Ergebnisse unseres „German Debt Projects 2014“ in Frankfurt vorstellen werden.

Literaturempfehlung:
Kindleberger. C.P. (1978). Manias, Panics and Crashes: A history of financial crises, New York. Basic Books (in der fünften Auflage zusammen mit Robert Z. Aliber).

 

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