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IREBS Standpunkt Nr. 26

Liebling, ich habe unsere Studenten „geframed“

Wissen Sie wie hoch das Transaktionsvolumen von ausländischen Investoren in Ulm ist? Tja, Immobilienmärkte sind intransparent, und daher sind wir häufig auf Schätzwerte angewiesen. Doch können wir unseren Einschätzungen wirklich trauen? Mit Hilfe von Experimenten lässt sich dies erahnen, und auf genau solch ein Experiment mussten sich unsere Studierenden einlassen und waren von den Ergebnissen sehr überrascht. Doch ich greife vor.

In der letzten Woche ist in der IREBS Niederlassung in Essen unser 12. Jahrgang des Kontaktstudiengangs Immobilienökonomie gestartet. Nach der Einführung in die Immobilienökonomie standen für den zweiten Tag die volkwirtschaftlichen Grundlagen auf dem Programm. Hier lernen die Studierenden wie sich das Bruttoinlandsprodukt berechnen lässt, wie makroökonomische Größen auf die Immobiliennachfrage wirken und auf welche internationalen Marktbewegungen Immobilienprofessionals achten müssen. Außerdem lernen die Studierenden einfache mikroökonomische Modelle kennen, um zu verstehen, wie die Preisbildung auf Märkten funktioniert. Es werden die Marktergebnisse von vollkommenen Märkten mit jenen von Monopolen verglichen. Der Tag ist voll gepackt mit Modellen und Statistiken, und so manchem Studenten dürfte am Ende des Tages gehörig der Kopf gebrummt haben.

Dieses Brummen dürfte auch gerades deswegen entstanden sein, weil volkswirtschaftliche Modelle in der Regel auf realitätsfernen Annahmen basieren. Wo in der Immobilienwirtschaft gibt es denn homogene Güter und vollständig transparente Märkte? Zwei Dinge sollen die Studenten bei der Arbeit mit solchen Modellen verstehen: Erstens sind Modelle niemals ein Abbild der Realität, sondern eine starke Vereinfachung, um einzelne Effekte zu isolieren. Zweitens helfen die Modelle unser Denken zu strukturieren, damit man von der Komplexität der Realität nicht erschlagen wird.

Wie tönern allerdings mitunter das Annahmengerüst von ökonomischen Modellen ist, haben wir anhand von zwei Experimenten veranschaulicht. Hierfür habe ich an die rd. 25 Studierenden im Raum Fragebögen mit nur zwei Fragen verteilt. Bei der ersten Frage sollten die Studierenden das Volumen gewerblicher Immobilientransaktionen von ausländischen Investoren in Ulm schätzen. Ich hätte auch jede andere Stadt der Erde wählen können, für die ich hätte vermuten konnte, dass der durchschnittliche Immobilienprofi im Ruhrgebiet deren Transaktionsvolumen nicht auswendig kennt. Peer Steinbrück hätte in einer Vorlesung vielleicht nach dem Transaktionsvolumen in Ouagadougou fragen können.

In der zweiten Frage stellte ich eine Lotterie vor, die als Petersburger Paradox in die Literatur eingegangen ist. Hierbei wird eine Auszahlungsfunktion für Münzwürfe angeboten, und die Studierenden sollten angeben, wie hoch ihr maximaler Wetteinsatz wäre, um diese Lotterie mitzuspielen. Die Auszahlung ist mathematisch so kalibriert, dass rein monetär orientierte Menschen einen unendlich hohen Wetteinsatz für diese Lotterie zahlen sollten. Nun, es ist leicht zu erahnen, dass dies niemand tut, und genau hier liegt das vermeintlich Paradoxe, das uns an die Grenze der streng rationalen Entscheidungstheorie führt. Daniel Bernoulli löste das Paradox vor 250 Jahren übrigens dadurch, dass er argumentierte, dass uns Geldgewinne nur nach Maßgabe der erreichten Niveaus auch Nutzen bringen – ein Euro für einen Millionär ist weniger wert als ein Euro für einen Bettler. Doch darum ging es bei diesem Experiment nur in zweiter Linie.

Der eigentliche Charme dieser zwei Experimente lag darin, dass ich dem Kurs zwei unterschiedliche Fragebögen ausgeteilt hatte. Dies wussten die Teilnehmer jedoch nicht. Die eine Gruppe bekam vor den zwei Fragen einen kurzen Text über die Einwohnerzahl Chinas, der ungeahnt großen Zahl an chinesischen Millionenstädte und die mittlere Wirtschaftswachstumsrate im Reich der Mitte zu lesen. Alles beeindruckend hohe Zahlen. Die zweite Gruppe bekam Zahlen zu Dänemark: Wenig Einwohner, kleine Städte, geringes Wirtschaftswachstum, Zahlen zu Dänemark eben.

Das Ziel dieser unterschiedlichen Einleitungstexte war, die Studenten zu „framen“, ihnen einen gedanklichen Rahmen zu geben. Die China-Gruppe dachte in großen Zahlen und schätzte nicht nur das Transaktionsvolumen in Ulm spürbar höher ein als die Dänemark-Gruppe, sondern war auch bei dem Petersburg-Paradox deutlich risikobereiter als ihre auf Dänemark geframeten Kommilitonen.

Natürlich sind solche Klassenzimmerexperimente in erster Linie didaktische Spielerei; für einen wissenschaftlich fundierten Gehalt fehlt der neutrale Rahmen und eine höhere Zahl an Probanden. Ich hatte ja nicht einmal darauf geachtet, dass alle Smartphones von den Tischen verschwunden waren. Gleichwohl spiegeln diese Ergebnisse eindrucksvoll das, was zahlreiche verhaltensökonomische und wissenschaftlich sichere Experimente in den letzten Jahrzehnten wiederholt gezeigt haben: Menschen lassen sich sogar durch vollkommen irrelevante Informationen vor ihrer Entscheidungssituation manipulieren, neudeutsch hier framen. Dies ist auch für Immobilienprofessionals sehr wichtig zu verstehen, denn nur wenn man sich dieses Sachverhalts bewusst ist, kann man Entscheidungsfehler, die auf diese Verhaltensanomalien zurückgehen, reduzieren. Vielleicht ist es gerade für Immobilienmarktakteure besonders wichtig diese Sachverhalte zu verstehen, da das Wirtschaftsgut Immobilie sowieso sehr leicht emotional aufgeladen werden kann. Wenn es dann auch noch möglich ist, die Zahlen durch Framing mit bestimmten Erwartungen zu prägen, entsteht Spielraum für opportunistisches Handeln. Also reden Sie gerne mal über die Mieten in New York und in London, bevor sie das ach so teure Mietobjekt im Frankfurter Westend anbieten.

Übrigens, am Ende wurde natürlich die Frage gestellt, wie groß denn das Transaktionsvolumen ausländischer Investoren in Ulm nun wirklich sei: Ich muss gestehen, ich habe keinen Schimmer.

Zum Weiterlesen:
Ariely, Dan (2009). Predictably irrational. The hidden forces that shape our decisions. Harper, New York.
Jerger, Jürgen (1992). Das St. Petersburg-Paradoxon, in Wist 8/1992, S. 407-410.
Kahneman, Daniel (2011). Schnelles Denken, langsames Denken, Siedler, München.

 

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